BLOG 10 Rosenheim

Mi 01.11. Rosenheim

Am Donnerstag, dem 19.10. wurde ich in Ghom überfallen. Mein Laufanhänger stand am Straßenrand, ich 3 Meter daneben. Von dort musste ich mit ansehen, wie ein vorbeifahrender Motorradfahrer sich eine Deistel schnappte und das Gefährt mitnahm. Ich lief ihm nach, konnte ihn aber nicht mehr einholen. War vielleicht besser so, aber ich wollte mein Equipment retten und machte mir keine Gedanken über eventuelle Gefahren. Der Abstand wurde immer größer, aber ich lief noch ca. 2 km, bis ich ihn auch nicht mehr hörte. Ich hoffte, er würde etwas verlieren, hat er aber nicht. Ich hatte nur noch meine verschwitzten Laufklamotten am Leib und eine Taschenlampe in der Hand, weil es gerade dunkel wurde. Alles andere war weg. Geld, Handy, Bekleidung, Zelt, Schlafsack, alles. Nur mein Pass war in Sicherheit bei der indischen Botschaft in Teheran. Nachdem mir das alles bewusst geworden war, fühlte sich mein Gehirn wie betäubt an. Alles weitere funktionierte halb automatisch. Mir war klar, jetzt brauche ich die Polizei. Ich ging zum nächsten Haus und sagte das zum ersten Menschen, den ich dort antraf. Der verstand nur das Wort Polizei und holte jemanden, der einigermaßen englisch konnte. Nach wenigen Worten hatte der verstanden, sagte: setz dich da hin, trink einen çay, wir rufen die Polizei hierher. Und dann rief er noch einen Freund an, der deutsch kann. Der entpuppte sich als Deutscher, der vor 8 Jahren aus Liebe zu einer Frau in den Iran ausgewandert ist. Auch sowas gibt es. Er heißt Manuel und war bei den weiteren Gesprächen mit den Polizisten als Dolmetscher außerordentlich hilfreich. Ich musste für's Protokoll mit auf's Revier, Manuel und sein Freund kamen auch mit. Während die Polizisten am Protokoll feilten, fand er die Notrufnummer der deutschen Botschaft in Teheran und fragte nach, ob und wie sie helfen können. Da war es ungefähr 23:00 Uhr (Donnerstag). Der Freitag ist im Iran Feiertag wie unser Sonntag, sie machen erst am Sonntag früh um 07:00 wieder auf, da soll ich kommen. Diese Auskunft stieß bei den anwesenden Polizisten, Helfern und Zuhörern auf einiges Unverständnis, sie machten sich Sorgen, ob, wo und wie ich bis dahin überleben kann. Mich beunruhigte die Aussicht auf zwei Fastentage nicht sonderlich. Die Temperaturen machten mir mehr Sorgen. Inzwischen war es saukalt draußen. 

Man beschloss, mich zur Moschee zu bringen, dort gibt es eine Obdachlosen Unterkunft. Diese Moschee ist eine der größten und heiligsten im ganzen Land,  mit Sicherheitsvorkehrungen mit Personen und Gepäck Kontrollen wie am Flughafen und eine eigene Polizei Station. Dort mussten meine Freunde eine Sondergenehmigung für mich als Nichtmoslem erwirken. Dann führte man mich in einen Raum mit 200 Stockbetten, alle waren belegt, ein paar Männer lagen auf dem Fußboden. Sie gaben mir ein Kopfkissen und zwei Decken und ich legte mich zu ihnen. Da war es halb zwei. So verbrachte ich die Nacht mit 200 anderen Pennern ohne die geringste Störung, ich schlief wie ein Stein. Um 5 wurden wir wieder geweckt, es gab sogar Frühstück (Marmelade, Brot und Tee). 


Die meisten der anderen Männer gingen dann in die Moschee, ich in die Stadt ( die Moschee liegt mitten in der Stadt). Bei der nächsten Bäckerei quoll ein warmer Wohlgeruch auf die Straße, da reihte ich mich in die Schlange ein, nur um mich wieder aufzuwärmen. Manuel hat mir zum Abschied 200 000 Rial (5 €) in die Hand gedrückt, für ein Taxi zum Busterminal und von dort mit dem Bus nach Teheran. Dafür hat's auch gereicht. Dort bin ich wieder zu der Familie gegangen, bei der ich eine Woche zuvor schon war und wurde wieder genauso herzlich aufgenommen wie beim ersten Mal. Alle Perser, die von meinem Missgeschick gehört haben, zeigten sich bestürzt und viele sagten, sie schämen sich dafür, dass sowas in ihrem Land passiert. Auch die Polizisten in Ghom haben sowas ähnliches gesagt. 

Am Sonntag früh war ich bei der deutschen Botschaft. Da war wieder eine 100köpfige Menschenschlange, an der drängte ich mich vorbei zum Pförtner, der Bescheid wusste. Er ließ mich sofort rein und telefonierte jemanden herbei, der sich mir als Chef der Visaabteilung vorstellte. So hab ich's zumindest verstanden. Und der sagte, ich konnte es kaum glauben, er hat meinen Blog gelesen, ist begeistert von meinem Vorhaben und ich soll mich jetzt nicht entmutigen lassen und weitermachen (Und das, obwohl sie mir jetzt aus der Patsche helfen müssen). Der Iran ist ein sicheres Reiseland und was mir passiert ist, kommt sehr selten vor. 

Dies war der stärkste Beitrag zur Linderung des Schocks, unter dem ich stand. Ich war bis dahin fast lebensunfähig. Das Ereignis ist wie eine Endloswiederholung in meinem Kopf abgelaufen, ich konnte nichts anderes denken, fühlte weder Hunger noch Durst, es fühlte sich in meinem Kopf an wie betrunken. Ich hätte nie geglaubt, dass ich durch sowas die Kontrolle über meinen Körper dermaßen verlieren könnte. 

Die Botschaft hätte mir einen Heimflug bezahlt (leihweise), wenn es keine andere Möglichkeit gäbe. Die gab es aber. Mein Bruder hat 600 € an's auswärtige Amt in Berlin überwiesen, die haben eine Bestätigung nach Teheran gemailt, und dort haben sie mir den Betrag eine halbe Stunde später ausbezahlt. Da war Dienstag  Nachmittag. Am Rückweg zu meiner Unterkunft bin ich in ein Reisebüro gegangen und hab einen Rückflug nach München gebucht, für Freitag früh um 02 Uhr. 

Ich muss noch etwas über die Familie schreiben, die mich so gut aufgenommen hat. Das ist für das Verständnis der Lebensumstände dort, insbesondere die der Frauen, wichtig. 

Als ich dort ankam, waren noch 2 weitere Brüder auf Besuch, Ali, der älteste von allen ist genauso alt wie ich. Er hat 40 Jahre lang in Deutschland gelebt und gearbeitet und unsere Ansichten sind so gut wie deckungsgleich. Selten hab ich mich mit jemandem so gut verstanden. Er ist vor 10 Jahren in den Iran zurückgekehrt, hat ein Haus gebaut, aber nicht in Teheran (zu laut, zu stinkig, zu trocken), sondern in Qaem Schar, 250 km nordöstlich, in den Bergen. Die sehen aus wie bei uns die Alpen, bewaldet und grün.  Der höchste (6000 Meter) ist nicht weit, aber sehen kann man ihn von dort nicht. Ich bin mit ihm am Mittwoch dorthin gefahren, er wollte gar nicht so lange bei seiner Schwester bleiben, konnte aber nicht weg, solange ich da war.Es ist dort nicht erlaubt und unmöglich, dass ein Mann und eine Frau die nicht nah verwandt sind, sich gemeinsam in einer Wohnung aufhalten, es sei denn, ein naher, vorzugsweise männlicher Verwandter ist zu ihrem Schutz ebenfalls anwesend. Kein gutes Zeugnis für die Männer. Ich habe ein paar Tage gebraucht, das zu kapieren.

Und dann dürfen die Autos in Teheran nur jeden 2.Tag fahren. An geraden Tagen die mit gerader Endziffer am Nummernschild, an ungeraden Tagen die mit- usw. Und trotzdem sind die Straßen hoffnungslos überlastet. Also wenn ich am Dienstag nicht fertig geworden wäre, hätte er erst am Freitag fahren können.

Leider bekam ich am Mittwoch eine Erkältung und hab die halbe Strecke nach Qaem Schar verpennt. Am nächsten Tag bin ich mit dem Bus zurück nach Teheran gefahren (da fährt nur einer am Tag, und das am Vormittag), und von dort mit einem Taxi zum Flughafen (Imam Chomeini International Airport).

Dort war ich dann am späten Nachmittag, Abflug war um 02 Uhr. Als erstes ging ich zur medizinischen Notversorgung und fragte, ob sie was für mich haben.

Ein Arzt schaute in meinen Hals, befühlte Stirn und Hals, erkundigte sich nach meinem Befinden und gab mir 3 Tabletten für sofort und 2 um Mitternacht. Ich fragte, ob ich mich irgendwo hinlegen kann, er sagte ich soll in den prayers room gehen. Tatsächlich lagen dort ein paar Menschen auf dem dicken, weichen Teppich und schliefen, dazwischen beteten andere. Ich legte mich einfach dazu und schlief tief und gut. Als ich um halb zwölf erwachte, fühlte ich mich fast schon gesund.

In München angekommen wollte ich einen Menschen fragen, ob ich mit seinem Handy eine SMS abschicken darf. Rosi und Irene hatten mir Asyl angeboten und da wollte ich mich anmelden.Ich wollte ihm erklären, warum, aber er ließ mich gar nicht ausreden. In sehr unfreundlichem Ton sagte er: "was wollen Sie, kommen Sie zur Sache." Und als er wusste, was ich will, sagte er einfach nein. Ich fragte nochmal ungläubig:"nicht mal eine SMS?" Er:"definitiv: nein". Das war meine erste Begegnung in Deutschland. Da wusste ich wieder, was ich an Deutschland hasse. Ein halbes Jahr lang haben die Menschen versucht, mir meine negativen Assoziationen auszureden, indem sie Deutschland in den höchsten Tönen lobten und in den schönsten Farben malten, ausnahmslos überall. Und sie haben es auch schon fast geschafft, ich konnte es kaum glauben, dass der diese kleine Hilfe ablehnt. Sowas gibt es sonst nirgends. In Deutschland gleich der erste. 


10.11. PRIEN am Chiemsee

13. 12. Weisham

24.12. Eltendorf (im Südburgenland)

27.12.17 Kiew


Es ist soweit, ich setze meine Reise nun fort. 

Ich habe bis jetzt die Zeit gebraucht, alles neu zu organisieren, was ich verloren habe, einen neuen Laufwagen zu bauen, 



Freunde zu besuchen, und meine Angst vor dem Neustart zu überwinden. Die saß mir im wahrsten Sinne des Wortes nicht direkt im Nacken, sondern etwas tiefer zwischen den Schulterblättern und war oft so schmerzhaft, dass ich mein Lauftraining nicht machen konnte. Aber seit 2 Wochen ist es gut. Ich habe also einen Flug von Wien nach Teheran gebucht, mit Zwischenstopp in Kiew in der Ukraine. Da sitze ich jetzt am Flughafen und warte auf den Weiterflug. Vom Krieg im Osten ist hier nichts zu spüren. 

In Teheran muss ich mir wieder eine neue Sim Karte kaufen, ich melde mich wieder, wenn die funktioniert und beginne dann eine neue Seite.