Blog 45 Argentinien

So 29.01.23 Bariloche(Km 45.859 H 850m)

Das ist der Lago Nahuel Huapi. Der Name kommt aus der Sprache der Mapuche und heißt Insel des Jaguars. (Der Puma ist nur ein schwarzer Jaguar). Der See kann locker mit jeder oberbayerischen Bergsee-Idylle mithalten, ist etwas größer als der Bodensee und einer der Größten von vielen in der Gegend, beiderseits der Anden. Die Provinz gegenüber, in Chile, heißt auch Los Lagos. Bariloche ist eine schöne Stadt, die Verkehrswege sind für mich außerhalb des Zentrums erwartungsgemäß katastrophal. Ich weiß noch nicht woran es liegt, sie haben schon seit Jahrzehnten eine irrsinnige Inflation. Letztes Jahr war ein Rekord mit 95%. Mir kanns ja egal sein, ich bekomme dafür mehr argentinische Pesetas für jeden Euro. Das sind actualmente 200 bis 350, je nach dem, wie man es beschafft. Wenn man Geld mitbringt kriegt man mehr, besonders scharf sind sie natürlich auf US Dollar. Für meine restlichen chilenischen Pesetas haben sie mir umgerechnet 300 gegeben (pro €).

Dass ich so schnell hier war, habe ich der chilenischen Polizei zu verdanken. Der Grenzposten liegt 20 km vor der Grenze, auf 450 m Höhe, die Grenze ist am Pass auf 1300 m. Ein Beamter sagte zu mir am Schalter, ich kann da nicht zu Fuß rüber gehen. Ich: doch, ich kann, er: ohne Fahrzeug lässt er mich nicht ausreisen. Nachdem sich der erste Schock gelegt hatte, ging ich zu einem anderen Schalter, dasselbe Ergebnis. Nur der konnte gut Englisch und erklärte mir, ich muss jemanden finden, der mich rüber bringt und mit ihm zusammen hier vor ihm erscheinen. So hab ichs dann gemacht. Schon beim 2. Versuch war ich erfolgreich, ein Paar, die einen ausreichend großen Pickup mit leerer Ladefläche hatten und nach Bariloche wollten. Obwohl sie kein English konnten, konnte ich ihnen klarmachen, was ich wollte, und weils so schön war, nahmen sie mich gleich mit nach Bariloche. Weil ich zu spät nach Patagonien komme, nahm ich diese ca. 5 Tage Ersparnis gerne an. Der argentinische Grenzposten war 20 km nach der Grenze und dort lief alles zügig und reibungslos. Auch hier kann ich 3 Monate bleiben und es gibt eine Verlängerungs Möglichkeit. Jetzt habe ich mich erstmal auf einem Campingplatz einquartiert weil ich schon wieder ein paar Reparaturen vor mir herschiebe für die ich auch wieder Ersatzteile brauche und heute ist Sonntag, da ist alles zu. Deshalb 3 Tage a 6,-€, in Städten ist es immer schwieriger einen kostenlosen Platz zu finden und die Kriminalität ist hier auch schlimmer als in Chile, besonders gegenüber Touristen. Angeblich!

Fr 03.02. El Foyel (Km 45.980 H 840 m)

Ich bin unterwegs auf der RN 40 nach Süden. Das ist die wichtigste Verkehrsader hier im Südwesten von Argentinien, zweispurig, also in jede Richtung nur eine, aber sehr viel Verkehr, auch viele Radler, aber kein Platz für sie und auch nicht für mich, keine Standspur, neben der weißen Seitenlinie 0-5 cm. Und ziehmlich neu. Wer heute noch solche Straßen baut, ist ein Mörder. Es gibt ein meistens ausreichend breites Bankett, Schotter, wenns gut geht, aber für mich nur schwer befahrbar, ebenso für Fahrräder.

Das ist der Lago Gutierrez, gleich der erste nach Bariloche, es folgen noch viele. Noch spannender sind die Berge:

Seit gestern bin ich in Patagonien. Letzte Nacht habe ich auf 1.100 m Höhe geschlafen und es war ziehmlich kalt.

Sa 04.02. El Bolsón (Km 46.018 H 340 m)

Das ist Lucas aus Buenos Aires, er fuhr von zuhause nach Ushuaia, das ist die südlichste Stadt hier und ist jetzt wieder auf dem Heimweg. Ein sehr gutes timing, was man von mir nicht behaupten kann.

In Santiago hatte ich befürchtet, wenn ich 1000 km weiter südlich bin und soweit ist es jetzt, Luftlinie, wirds langsam kälter, das Gegenteil ist der Fall. So warm wars diesen Sommer bisher noch nicht. Auf der Straße nachmittags bis 45⁰.

Morgens 10⁰ fühlen sich da schon wieder ziehmlich kalt an. Und wenn ihr mich fragt, was mir lieber ist, dann nehme ich die 45.

Fr 10.02. Esquel (Km 46.198 H 600m)

Das Internet ist eines der schlechtesten in dieser Welt. Sie verwenden noch G3, da dauert jeder Schritt ätzend lange und Bilder gehen oft gar nicht, so auch hier. Und über Land gibts nirgendwo einen Sender oder Empfänger.

Die Abstände zwischen den Orten werden auch länger, die letzte Etappe von Epuyen war 120 km mit nichts. Fast nichts, nur ein Haus in der Mitte etwa, und dort wohnt eine Mapuche Familie. Die Mapuche sind hier sowas wie die Aborigines in Australien. Es sind die traditionellen Eigentümer dieses Landes beiderseits der Anden, dafür bekommen sie eine Art Rente vom Staat. Manche Leute sagen, sie bekommen mehr als weiße Rentner, das ergibt Neid und Missgunst. Ich denke, eine reguläre Pacht für das Land würde anders aussehen.

Jetzt (Samstag abend) ist es mir gelungen das Bild hochzuladen. Das ist der Opa der Familie, 71 Jahre alt, beim Abschied am nächsten Morgen, seinen Namen konnte ich mir nicht mal eine Minute merken. Er war mein erster und einziger Ansprechpartner, die anderen waren sehr zurückhaltend. Er interessierte sich für mein Solarpaneel und zeigte mir seine Experimente mit Wasserrädern, die Strom erzeugen sollen. Gleich hinterm Haus fließt nämlich ein Bach, der immer Wasser hat, in Trinkqualität. Bisher erzeugen sie ihren Strom noch mit einem Verbrennungsmotor. Welch eine Verschwendung, wenn man ausreichend Wasserkraft, Wind und Sonne hat. Und das sieht er auch so.

Die traditionelle Heimat der Mapuche, das ist ein Indianerstamm, ist etwas weiter nördlich in Chile, reicht von Valdivia bis fast nach Santiago. Bei meinem Start dort haben mich mehrere Leute vor den Mapuche gewarnt, einer sogar mit ausgestrecktem Zeigefinger vor seinem Kehlkopf, ein international gebräuchliches Zeichen für Halsabschneider. Obwohl ich aus Erfahrung weiß, dass solche Meinungen der größte Blödsinn sind, hatte ich doch ein etwas mulmiges Gefühl als ich sein Territorium betrat und in solchen Fällen muss ich meinem Verstand folgen. 4 Hunde begrüßten mich mit unterschiedlichem Temperament, ängstliche Menschen würden das schon als Bedrohung empfinden, aber ich weiß, dass das freudige Erregung ist. Alle Weißen ignorieren das Gebell ihrer Hunde und empfinden es als ein lästiges Übel, er nicht. Er kam sofort aus seinem Haus um nachzusehen, was da los ist und empfing mich sehr freundlich und interessiert. Natürlich kann ich da schlafen. Er lud mich zum Abendessen ein und stellte mich seiner Familie vor. Seine Frau, eine Nachbarin (ich habe 50 km vor und nach seinem Haus kein anderes gesehen, aber das heißt noch lange nicht, dass es keins gibt), ein Sohn mit seiner Familie, 3 Enkelkinder. Das Haus ist modern, 8eckig, ein großer Raum mit Holzofen und sichtbarem Dachstuhl, wunderschön, die Haustür muss immer auf der Ostseite sein, gegenüber gibts noch ein paar Räume. Alle Fenster nur einfach verglast. Eine Toilette mit ganz normaler Ausstattung, WC, Toilettenpapier, Badewanne mit Duschvorhang, Waschbecken mit Seife, Handtücher, stinknormale Haushalts Reinigungsmittel. Zum Essen gabs einen dicken Knochen mit Fleisch, Gnocchi, Brot und Wein (letzteres nur für ihn und mich). Kein Gemüse! Also ganz normale Menschen wie du und ...ich kann ich nicht sagen, das passt nicht mehr. Das Haus liegt am Fuße eines 2.200m hohen Berges, auf 750m Höhe, dort müssen die Winter schon ähnlich kalt sein wie in Deutschland.


So 12.02. Esquel

Ich muss wieder ein paar Tage hier bleiben, bis Montag. Habe die Anschaffung neuer Schuhe schon zu lange hinausgezögert und mein ältestes Paar bereitet mir schon nach 20 km Probleme in den Füßen. Ich habe inzwischen viele neue Leser meines Blogs, deshalb muss ich das nochmal erklären. Ich habe immer 3 Paar Schuhe dabei, eines an den Füßen und 2 in meinem Anhänger, und die wechsle ich jeden Tag. Immer mit denselben Schuhen zu gehen, beschädigt die Füße, das hält man nicht lange durch. Und weil Esquel nun für lange Zeit die letzte größere Stadt ist und auch in Argentinien am Sonntag fast alles geschlossen ist, bis auf ein paar Lebensmittel Geschäfte, muss ich bis Montag warten. Ich war am Samstag dort, aber die Schuhe kosten mehr, als der Geldautomat hergibt, es hat nicht gereicht. Und ich habe mit meiner Bank einen Deal, dass ich nur einmal pro Tag Geld abheben kann, aus Sicherheitsgründen. Die Geldautomaten haben ein oberes Limit, das liegt bei 20 - 30.000 Pesos, das sind 60 - 90 €. Die Schuhe kosten 48.000 und soviel hatte ich auch mit dem Rest in meinem Geldbeutel nicht. Das argentinische Geld ist eine Katastrophe. Einer sagte mir mal: unser Geld ist wie Kloopapier, nur schlechter. Der größte Schein hat einen Wert von 1.000 Pesos, 3€. 20 Stück davon übersteigt schon die Kapazität jedes normalen Geldbeutels. Dazu kommt noch das Kleingeld, der kleinste Schein hat 10 Pesos, 3 €cent.


Nochmal zu den Mapuche. In ihrer Sprache ist mapu die Erde und che der Mensch. Das war schon immer ein recht wehrhaftes und auch angriffslustiges Volk (kein Krieg kann lustig sein). In vorkolumbianischer Zeit, also vor mehr als 600 Jahren gabs ständige Auseinandersetzungen mit den Inka im Norden. Zahlenmäßig überlegen konnten die einen Teil des Mapuche Reiches erobern und haben die dort lebende Bevölkerung versklavt. Danach oder zeitgleich haben sich die Mapuche nach Osten über die Anden ins Land der Araukanier ausgebreitet und die dortige Bevölkerung massakriert und assimiliert. Sie haben sich der spanischen Kolonisation mit erbitterter und erfolgreicher Gegenwehr widersetzt. Sehr bald lernten sie von den Spaniern reiten, die Pferdezucht, militärische organisation u. vieles mehr und gründeten schon Mitte des 16. Jahrhunderts einen eigenen Staat nach spanischem Vorbild, der über 300 Jahre Bestand hatte, bis 1883! Sie haben viele spanische Armeen vernichtend geschlagen, zum Schluss aber doch verloren. Danach wurden sie enteignet und in Reservate zusammengepfercht, in denen man nicht überleben kann. Als die Spanier kamen, waren sie gerade am Übergang von Sammlern und Jägern zu Ackerbau und Viehzucht, also am Ende der Steinzeit, noch Kannibalen, die ihre unterlegenen Gegner gerne auch verspeisten. Der letzte große Aufstand der Mapuche war erst 1934. Und heute sehen viele weiße, nicht nur Amerikaner, auch Australier und überall, wo weiße Einwanderer die ursprünglichen Bewohner verdrängt haben, ihre indigene Bevölkerung wie eine Art Neandertaler, als dumme und unzivilisierte Wilde. Entsprechend schlecht sind ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Und es gibt immer noch Widerstandsgruppen, die der Einfachheit halber als Terroristen bezeichnet werden. Vor der spanischen Invasion kannten die Mapuche keine festen Grenzen, keine Städte, nicht mal Dörfer, keinen Staat, keine Regierung, keinen König oder eine andere Form von Herrschaft, der klassische Anarchismus und sie konnten ihre Identität länger bewahren, als die meisten indigenen Völker Amerikas. 

Jetzt habe ich im Internet gestöbert und einiges über Santa Rosa Leleque gefunden. Ich denke, mein Gastgeber heißt Atilio (klingt einfacher als es sich angehört hat) und seine Frau Rosa. Auch er hat sein Unverständnis über viele Gepflogenheiten der Weißen ausgedrückt. Natürlich habe ich leider nicht alles verstanden. Und einmal hat er sich offensichtlich über ihren Kapitalismus lustig gemacht. Er hat sich auf dem Rechtsweg dieses Stück Land erkämpft, war erst 2007 damit erfolgreich und nennt es eine Rückeroberung, und es ist nicht "sein" Land  sondern Mapuche Territorium, also das Eigentum seines Volkes. 

In Australien haben die Aborigines in ihren Territorien weitgehende Autonomie. Eigene Gesetze, Rechtsprechung, Steuern, Schulen und werden vom Staat unterstützt. Das sind eigene Staaten, wo man eine Erlaubnis einholen muss, um sie betreten zu dürfen. Sowas ähnliches wollte auch der neueste Verfassungsentwurf unter der linken Regierung in Chile, der dann leider leider an der kapitalistischen Wirklichkeit gescheitert ist. Die letzte linke Regierung dort, das war Salvador Allende, war schon viel weiter, sie hatten schon Großgrundbesitzer enteignet und den Mapuche das Land zurück gegeben. Pinochet machte dann alles wieder rückgängig und noch schlimmer, als es vorher schon war.

Mi 22.02. Los Tamariscos (Km 46.540 / H 550m)

Hier auf den Landstraßen gibt es nirgendwo Mobilfunk. Und jetzt bin ich auf der bisher längsten menschenleeren Etappe in Südamerika, von Gobernador Costa nach Rio Mayo, 235 km, schon fast australische Verhältnisse. Aber etwa in der Mitte liegt dieses Rasthaus, mit Wifi, und da bin ich jetzt. Das liegt auch ungefähr in der Mitte zwischen Santiago und Ushuaia. Aber letzte Woche dachte ich, ich schaffe es nicht mehr bis dorthin, ich komme wohl zu spät. Es war ein Kälteeinbruch mit Nachtfrost bis -2⁰, aber noch schlimmer war der Wind. Ich hab mich ja in Australien mehrmals über den Wind beklagt, aber das war nur Kindergarten im Vergleich zu dem hier. Oder eine Vorübung. Sowas habe ich noch nicht erlebt. Eine Windstärke, dass ich mich kaum noch auf den Beinen halten konnte. Patricia aus Ranguil (Chile) sagte mir, dass die Leute in Punta Arenas (noch viel weiter südlich) immer ein Seil dabeihaben, mit dem sie sich notfalls am nächsten Laternenpfahl anbinden können. Und das macht die Temperatur nochmal um gefühlt 10⁰ kälter. Und diese Woche ist es wieder angenehm warm, heute 16-25⁰. Der Wind ist wie in Australien permanent und stark, aber nicht mehr soo schlimm.

 Ich treffe eine Menge angenehme  und interessante Leute. Z.B. in Gobernador Costa ein junger Mann, Santiago heißt er, er radelte von Bariloche nach Ushuaia, über 2000 km (einfach), um dort an einem Ultra Marathon über 75 km teilzunehmen, ich traf ihn auf seinem Rückweg. Meine größte Hochachtung vor solchen Menschen.

Welch ein Unterschied zu den "null Bock auf nichts" Typen. Er verschafft sich selbst Glück, Zufriedenheit, Selbstbewusstsein und eine Lebensqualität, die für normale Menschen unvorstellbar ist. Und nicht nur das. Er zeigt seinen Mitmenschen wie es gehen kann und wer nicht blind und taub ist, erkennt, dass er nur die Ärmel hochzukrempeln braucht und anpacken kann, was immer er will und was er schon lange tun wollte, aber aus unerfindlichen Gründen nicht geschafft hat. Und Danke dafür, dass du dabei nicht das Klima killst.

Fr 24.02. Rio Mayo (Km 46.620 H 430m)

Kein Strauch, der hier zu wachsen wagt, geschweige denn ein Baum. Ich vermute, wegen dem Wind.


Heute war wieder so ein stürmischer Tag, aber nicht so kalt. 50 km vor Rio Mayo begann eine Strecke, in westlicher und sogar ein Stück in nördlicher Richtung, und der Wind kam von Nordwest. Und so stark, dass ich mitsamt meinem Elektromotor für jeden km doppelt so lange brauchte, wie sonst. 30 km vor der Stadt hatte ein Fahrer ein Erbarmen und bot mir einen Lift an, den ich dankbar annahm, um endlich dem Wind zu entkommen. Zum Schluss machte er mir noch "Mut" indem er sagte, je weiter du nach Süden kommst, desto schlimmer wird es (der Wind). Nach meiner ersten Sturmerfahrung habe ich jemanden gefragt, ob das normal ist und der sagte ja, ganz normales Wetter in Patagonien. Es gibt im Sommer Tage wie Winter, und im Winter gibts Tage wie Sommer. Damals hatte ich erwogen, bei nächster Gelegenheit meinen Ushuaia Plan aufzugeben und links abzubiegen. Diese Gelegenheit kam heute morgen und ich ließ sie ungenutzt. Die nächste derartige Gefahrenstelle kommt in 100 km und die 2. in 600. Es gibt noch einen Grund durchzuhalten. Von hier nach Ushuaia sind es noch etwa 1.600 km, aber in 1.100 km kommt nochmal ein Stück chilenisches Territorium und das kann ich nutzen, meine Aufenthaltszeit in Argentinien zu verlängern. Das muss ich aber nicht, man kann das auch in jeder größeren Stadt bekommen. Schön, wenn man mehrere Optionen hat.

Mo 27.02. Rio Mayo (Km 46.662)

Ich muss eine Lebensbescheinigung an meine Rentenversicherung schicken, es soll ja schon vorgekommen sein, dass Leute den Tod ihres Opas verschwiegen und seine Rente noch jahrelang weiter kassiert haben. Die Rentenversicherung hat die Zahlung meiner Rente gestoppt, weil ihre Briefe mich nicht erreicht haben. Und es gibt keine Nachzahlung für die Zeit ohne diese Bescheinigung. Man findet das entsprechende Formular im Internet, muss es ausdrucken, ausfüllen und bestätigen lassen. Das kann z.B. die Polizei, ein Arzt oder Beamter machen. Und sie wollen es als Original auf dem Postweg haben, eine e-mail akzeptieren sie nicht. Die haben sich selbst eine Regel gebastelt, die ihnen erlaubt, meine Rente zu stehlen und das e-mail Verbot soll diese Frist zu ihren Gunsten verlängern.

Das hab ich also am Samstag erledigt, die Polizei war sehr freundlich, sie haben sich nach meinem Weg erkundigt und Selfies mit mir gemacht. Eine ähnliche Erfahrung habe ich auch mit der chilenischen Polizei gemacht. Dort habe ich mal eine Geldbörse auf der Straße gefunden. Es war so wenig Geld drin, 1.000 Pesos(1€) dass es mich nicht mal in Versuchung geführt hat, aber eine Identitätskarte und noch ein paar andere. Ich brachte sie also im nächsten Ort zur Polizei, mit einem etwas mulmigen Gefühl im Hinterkopf (oder im Bauch?), in Erinnerung an längst vergangene Zeiten, wozu diese Polizei fähig war. Aber der Beamte, mit dem ich sprach war ja damals noch nicht mal geboren. Trotzdem schien er zu ahnen, was ich denke oder fühle und bemühte sich sichtlich, meine Ängste zu zerstreuen. Er stellte sich durchaus glaubwürdig als Freund und Helfer dar. Selbstverständlich werden wir diese Geldbörse an die Besitzerin ausliefern, dazu sind wir doch da. Und vielen Dank, dass du sie uns gebracht hast und eine gute Weiterreise. So in dem Stil.

Ich ging dann weiter nach Südwesten, in Richtung Perito Moreno, die nächste Stadt, 130 km entfernt, nix dazwischen, nur Pampa. Das ist eine Ebene, soweit das Auge reicht, aber der Rio Mayo (der Fluss) hat ein Tal herausgewaschen, das 120 m tief ist und 3 km breit, hier jedenfalls. Die Straße führt in ein paar Kurven die Böschung hinauf und der Wind wurde dabei immer stärker und gefühlt kälter. Oben kämpfte ich mich noch 10 km weiter, manchmal in Schräglage 60⁰ gegen den Wind torkelnd. Der kam von rechts vorne (von Westen) und Wind ist keine lineare, sonern immer eine turbulente Luftströmung. Das heißt, wechselnde Richtung und abrupt beginnende und endende Böen, die mich mal fast von der Straße schubsen und mal zur Straßenmitte stürzen lassen. Der Vakuumschweif der LKWs wird vom Wind auf meine Seite gedrückt, was seine Wirkung nicht nur verstärkt, sondern vervielfacht. Absolut lebensgefährlich. Ich musste alles (Winterklamotten) anziehen, was ich hatte. Die Fenceritis (Zaunkrankheit) ist hier in Argentinien noch schlimmer als in Chile, Australien war dagegen harmlos. Aber man findet doch ab und zu (eher selten) ein Tor, das sich öffnen lässt. Noch besser, wenn dahinter auch ein paar Büsche wachsen, die mir etwas Wind- und Sichtschutz geben. Das geht also nur auf der linken Seite. Dieses Glück hatte ich dann abends, kurz vor Sonnenuntergang. Andernfalls muss ich einen trockenen Bach finden, der die Straße unterquert. Auf der östlichen Seite ist an der Stelle manchmal eine ebene Fläche, tief und nah genug an der Straße, dass er Windschutz bietet und man mich von vorbeifahrenden Fahrzeugen aus nicht sieht. Aber viele Argentinier wissen diesen Sicht- und Windschutz ebenfalls zu schätzen und nutzen den Platz als Toilette. Es gibt noch eine Möglichkeit, wenn der Zaun weit genug von der Straße entfernt ist, dass der Lichtkegel der Fahrzeuge mich nicht erreicht, kann ich auch vor diesem Zaun zelten, da muss ich aber vorher weitergehen, bis es wirklich finster ist. Ich möchte dabei keine Zuschauer. Also alles nicht so einfach.

Am nächsten Morgen dasselbe Spiel und laut Wetterbericht geht das mindestens die ganze Woche so weiter (und "nach Süden wirds immer schlimmer"). Nach weiteren 10 km spürte ich, dass ich krank werde. Eine Erkältung kann ich hier draußen, bei dem Wetter, überhaupt nicht gebrauchen. Dafür habe ich auch nicht ausreichend zu essen und trinken. Und immer noch 110 km Pampa. Da wurde mir klar, das kann ich nicht (mehr?). Jetzt ist der richtige Zeitpunkt das einzusehen und den Plan Ushuaia aufzugeben. Ich kehrte auf der Stelle um und ging zurück nach Rio Mayo. Ich muss so eine schwerwiegende Entscheidung in erster Linie vor mir selbst verantworten. Einfach nur mangelnder Komfort wäre keine ausreichende Begründung für mich.

Morgen gehe ich 50 km weiter zurück, dort war die letzte Gelegenheit, zur Ostküste zu fliehen und dann gehts weiter nach Norden. Wärmer wirds dabei erstmal nicht, jetzt beginnt hier langsam der Herbst und die Sonne senkt sich genausoschnell nach Norden, wie ich gehen kann. Aber der Wind lässt auf dem Weg langsam nach. Buenos Aires liegt schon fast auf der Höhe von Santiago, das könnte ich in 2 Monaten schaffen, dann ist April (für Europäer entspricht das dem Oktober). Bis zum Winter nochmal 2000 km weiter nach Norden, Brasilien oder Paraguay, der ist dann dort auch für mich angenehm warm. Ich wollte doch auch noch die Atacama Wüste in Chile sehen, aber ich kann die Anden nicht im Winter überqueren. Solche Überlegungen muss ich jetzt erst mal neu ordnen.

Mo 06.03. Comodoro Rivadavia (Km 46.865)

Um Sarmiento gibt es wieder Bäume und alle sind vom Wind deutlich sichtbar nach Osten gebürstet. Der bläst mir auf der Strecke zwar von hinten in den Rücken, das ist aber keineswegs angenehm. Wie ich schon erklärt habe, setzen die Böen abrupt ein und enden auch so unvorhersehbar und zwar so stark, dass ich auch bergauf bremsen muss. Die Handbremse immer in der Hand, ist meine Reaktion darauf einfach zu langsam. Der Wind schubst mich vor sich her, ich stolpere mehr vorwärts als ich gehe. Die letzten 80 km nach Comodoro Rivadavia nahm mich ein Transporterfahrer mit. Dort hatte ich 2 Einladungen, die erste war Luis, ein Pastor einer kleinen aber fanatischen evangelikalen Kirchengemeinde, das wusste ich aber vorher nicht. Ich ahnte es, als ich sah, dass das Haus, in das er mich eingeladen hatte, eine Kirche war. Die hat er selbst gebaut und an der baut er immer noch weiter. Noch wohnt er mit seiner Familie provisorisch im Keller. Ich habe ihn in der Nähe von El Bolsón, südlich von Bariloche kennengelernt, wohin er vermutlich einen Wochenend Ausflug mit seiner Familie (Frau und Tochter) machte.

Ich nahm an einer religiösen Zeremonie teil, die sie "Versammlung" nennen, wurde dort der Gemeinde vorgestellt und später zum Abendessen eingeladen. Auch dort gab es kein Gemüse. Solche Leute glauben ja nicht, dass sie einen Einfluss auf ihre Gesundheit, ihr Leben, ihr Schicksal haben, ausser durch Wohlverhalten, grenzenlose Loyalität und Liebe zu ihrem Gott und Jesus. Trotzdem sehr nette und freundliche Menschen.

Die zweite Einladung war von Mario. Er ist ein ehemaliger Schüler und Freund von Irene, einer langjährigen Freundin von mir aus Prien. Sie ist ja in Argentinien geboren, war dort Lehrerin und unterrichtete unter anderem englisch. Mario hat aber fast alles davon vergessen. Er ist etwa so alt wie meine Söhne (um die 40), und eine seiner Töchter ist schon verheiratet. Für mich manchmal erstaunlich, wie schnell das Leben doch ablaufen kann. Er wohnt in der Nordstadt von Comodoro. Die beiden Teile sind durch ein paar Hügel getrennt, der markanteste ist der Cerro Chenque 220 m hoch.

Blick von oben auf die Südstadt
Blick von oben auf die Südstadt
und auf die Nordstadt
und auf die Nordstadt

Seit einigen Jahren rutscht der Südhang ab und droht Teile der Stadt zu verschütten, sie versuchen das durch umfangreiche terassenartige Baumassnahmen zu verhindern. Auf dem Bild nach Norden zweigt eine Straße nach links ab. Ein Teil davon ist Schotter, dort brechen häufige Erdbewegungen den Asphalt immer schon nach kurzer Zeit wieder in Stücke, das haben sie aufgegeben.

Mario war bis vor ein paar Jahren UN Soldat, ein Blauhelm und war lange auf Cypern stationiert, um dort die Streithähne Türkei und Griechenland auseinanderzuhalten. Auch in Tahiti war er nach dem verheerenden Erdbeben eingesetzt. Jetzt hat er eine Werkstatt und repariert Motorräder, Autos, Busse und Lastwagen.


Mi 08.03. Trelew (Km46.911)

Gehörte Comodoro noch zu Zentral Patagonien, bin ich heute schon im Norden. Patagonien hat keine genau festgelegte Nordgrenze. Sie liegt hier etwa 150 km weiter nördlich von Trelew, im Westen südlich von Bariloche. Der Atlantic ist in Comodoro ziehmlich kalt, obwohl die Strömung von Norden kommt. Vielleicht reicht sie nicht bis hierher? Offensichtlich ist es auch den sonst hartgesottenen Patagoniern zu kalt, jedenfalls badet hier niemand im Meer. Comodoro ist, zumindest in den letzten Tagen, 10⁰ wärmer als Rio Mayo. Der Wind ist etwas schwächer, nicht viel. An sonnigen Tagen ist es im Windschatten angenehm warm, da kann ich im T-shirt rumlaufen, 3 m daneben, im Wind, brauche ich meine Winterausrüstung. Als ich in Comodoro ankam, sah es aus wie Nebel, der Transporter Fahrer sagte, es ist Staub, den der Wind aus Zentral Patagonien herüberweht.

Auf meinem Weg nach Norden kommt er (zur Abwechslung) von links, immer noch unangenehm stark und kalt.

Nein, Patagonien ist kein Land, in dem ich leben möchte.

Ich war noch nicht weit gekommen, am Nachmittag hielt ein dicker Brummi und nahm mich mit. Der Fahrer hielt einen anderen Lastwagen auf, zu dritt können wir meinen Anhänger auf seinen wuchten. Miguel heißt er und er fährt leer zurück nach Rosario, das liegt 300 km nordwestlich von Buenos Aires, 1800 km von hier. Nein, so weit will ich nicht mitfahren. Ich wünsche mir nur weniger Wind und etwas mehr Wärme. 

Ein idealer Zeltplatz für mich diese Nacht.

Do 09.03. Trelew

Von hier gehe ich wieder zu Fuß weiter in Richtung Nord Nordost. Miguel hat mich über 400 km in seinem Truck mitgenommen, das sollte für ein spürbar wärmeres Klima und weniger Wind reichen.

Do 23.03. San Antonio (Km 47.286)

Ein Gürteltier, die sehe ich oft am Straßenrand. Dieses habe ich von dort vertrieben, weil viele von ihnen beim Versuch, die Straße zu überqueren, ums Leben kommen. Es war nur 20 cm lang und sie bewegen sich ähnlich langsam, wie ein Igel. Sie müssen ja nicht schnell fliehen, der Rückenpanzer ist ein ausreichender Schutz vor Fressfeinden, nicht aber vor tonnenschweren Kraftfahrzeugen. Dieser Panzer ist aus Knochen, quasi ein Außenskelett, habe ich an toten Exemplaren gesehen.

Meine Hoffnung auf ein wärmeres Klima hat sich erfüllt. Hier hat es locker 10⁰ mehr als in Comodoro und 20⁰ mehr als in Rio Mayo, kann natürlich auch zum Teil am Wetter liegen. 

In Comodoro brauchte ich wieder neue Reifen. Nachdem ich dem Inhaber der Bicicleteria meine Geschichte erzählt und mit ihm Mate getrunken habe, hat er sie mir geschenkt. Er montierte sie von einem verkaufsfertigen Kinderfahrrad ab, das waren die einzigen, die er hatte, dafür waren das auch die schlechtesten Reifen, die ich jemals bekam. Nach knapp 400 km waren sie schon wieder am Ende. Und so ein Reifenkauf ist jedesmal eine Odyssee. Google maps zeigt mir zwar den Standort von Fahrradläden, die Liste ist aber unvollständig, veraltet und falsch. Überhaupt sind mehr als 50% aller Angaben auf Google maps in Südamerika falsch, ja, teilweise sogar frei erfunden. Muss man immer mit 3-fachem "vielleicht" versehen. Egal was ich kaufen will, das kostet jedesmal mindestens einen Tag.

Mi 29.03. Viedma (Km 47.472)

Das ist der Rio Negro, er ist die Grenze zwischen der gleichnamigen Provinz im Süden, und der Provinz Buenos Aires, nördlich von hier. Das ist zugleich die Nordgrenze von Patagonien Ich blicke nach Osten, also ist rechts Süden, und ich stehe schon in Buenos Aires. Rechts liegt Viedma, links die Stadt heißt ironischerweise Carmen de Patagonia. 

Was ich bis jetzt von Argentinien gesehen habe, war überwiegend fast Wüste. Das Land ist einfach zu trocken. Es gibt noch weniger Bäume als in der Nullarbor Ebene in Australien. Und wo es welche gibt, werden sie bewässert. Ohne menschliche Wasserzufuhr wächst fast nichts. Und das was da wächst, hat ausnahmslos lange, harte, spitze Dornen, man hat schon blutende Wunden, bevor man sie überhaupt berührt hat. Die wollen nicht gefressen werden. Erst etwa 50 km vor Viedma begann sowas wie Landwirtschaft, mit Bewässerungs Kanälen. Ich habe schon oft das Wort chacra gelesen und nie verstanden, hier habe ich es zum ersten mal übersetzt, es heißt Bauernhof. Auf so einem habe ich vorgestern geschlafen, bei Umberto und Gladis. Sie müssen auch alles bewässern, jeden Baum, alles was da wachsen soll. Im Kanal gibt es Fische, ziehmlich große sogar, aber leider kann man sie nicht essen, sie sind wie das Wasser pesticidverseucht, darin sind die Bauern skrupellos, überall. Wenn man wie ich schon seit 2 Monaten diesen Wassermangel sieht, und geht dann über so einen Fluss wie den Rio Negro, hier kurz vor seiner Mündung, wundert man sich schon, welche Wassermassen da ungenutzt ins Meer fließen, andererseits bezweifle ich den Sinn landwirtschaftlicher Nutzung, wenn dafür das Land und überhaupt alles pestizidverseucht wird.

Fr 14.04. Azul (Km 47.910)

Nochmal zu Umberto und Gladis. Sie ist Journalistin und Chefredakteurin einer kleinen localen Zeitschrift, er war auch bei den Blauhelmen, sogar auch auf Cypern, aber Mario kennt er nicht. Sie waren also nicht gleichzeitig  dort. Sie haben eine Tochter, die lebt jetzt in Buenos Aires, und war als "embajadora del cambio climático" (Botschafterin des Klimawandels) 2019 auf der COP 25 in Madrid. Leider habe ich sie nicht kennengelernt. 

Sa 15.04. Pampa (Km 47.932)

In Villalonga hat mich eine junge Familie eingeladen. Elias und Rebeca mit den Kindern Felipe und Augustin. Elias traf ich schon ein paar Tage vorher, ich machte eine Pause neben einem Zwiebelfeld, in der Gegend gibt es nur Zwiebelfelder. Das ist überall so, wenn einer Webstühle macht, dann muss das ein gutes Geschäftsmodell sein und alle machen es ihm nach. Die Straßenränder sind auf 200 km übersäht mit Zwiebeln, von überladenen Transportern verloren. In der Gegend muss niemand Zwiebeln kaufen, ich auch nicht. Durchschnittlich alle 10m eine, das macht auf 200 km beidseitig 400.000 Stück, mindestens 50 Tonnen. In relativ kurzem Zeitraum, fast alle noch brauchbar. Würde es sich da nicht lohnen, über bessere Ladungssicherung nachzudenken?

Solche kurzen Begegnungen kann ich schon mal vergessen, das ist mir mit Elias passiert, obwohl er mir von unserer Begegnung erzählte. Erst als ich ihn fragte, was er beruflich macht und er sagte Zwiebelbauer, fiel es mir wie Schuppen von den Augen und die ganze Szene war sofort wieder präsent. Ich hoffe, er hält mich deswegen nicht für senil.

Hier in Argentinien gibt es seltsame Gewohnheiten bei der Namensgebung von Orten. Beliebt sind Namen und Titel von hohen Militärs, ich befürchte, seit der Zeit der Militärdiktatur, und ich denke, da fehlt eine Aufarbeitung der jüngeren Vergangenheit. Als Pinochet in Chile abdankte, drohte er: wenn ihr auch nur einen meiner Leute anfasst, dann ist die Demokratie zu Ende. Der Schreck sitzt den Leuten noch sichtbar in den Knochen. Das Kapital hat wenig Interesse daran, dass sich das ändert und sie haben alle Medien in der Hand und können so Meinungen und Stimmungen manipulieren. ("Die herrschende Meinung ist die Meinung der Herrschenden"). 

Ich wollte nur den Ortsnamen erklären, wo ich letztes Wochenende war: Coronel Pringles. Coronel heißt Oberst. Das ist ein militärischer Titel knapp unter dem General.

Auch dort hat mich ein Bauer eingeladen: Luis, seine Partnerin heißt Elena, sie haben je 3 Kinder aus ihrer vorigen Ehe. 2 von Luis' Kindern waren da, Santiago, der ist schon erwachsen und Juana, noch jugendlich.

Di 25.04. San Justo (Km 48.196)

Mit Buenos Aires ist eigentlich nur der Stadtkern gemeint, der hat 2,8 Millionen Einwohner, mit allen Stadtteilen drum herum sind es 15 Millionen, das ist ein Drittel der Gesamtbevölkerung Argentiniens. San Justo ist so ein Stadtteil und dabei auch nur Teil von La Matanza, dem schlimmsten Viertel von Buenos Aires (in krimineller Hinsicht). Mario aus Commodoro Rivadavia hat mich eindringlich davor gewarnt, ein Polizist (Leonardo) auch. Er sagte: geh nicht nach Buenos Aires, schon gar nicht nach La Matanza. Das klang fast wie ein Verbot. Seit mehr als 5 Jahren habe ich mich immer und überall sicher gefühlt. Seit dem einzigen negativen Vorfall auf meiner Reise im Iran habe ich schon vergessen, dass es Kriminalität überhaupt gibt, kann es mir kaum noch vorstellen. Ich weiß nicht, warum die mich nicht sehen und ich sie auch nicht. Vermutlich unterschätze ich damit das wirkliche Risiko. Bei Polizisten vermute ich das Gegenteil, weil sie beruflich damit überproportional konfrontiert sind, denke ich, überschätzen sie das Risiko. Wenn die Wahrheit irgendwo in der Mitte liegt, dann sollte ich doch vorsichtiger sein, als ich es gefühlsmäßig bin. Ich war fest entschlossen, La Matanza zu vermeiden, hab sogar einen Umweg gemacht, ein paar Km mehr in Kauf genommen, um sicher zu sein. Vor 5 bis 6 Wochen haben mich zwei Lastwagenfahrer, unabhängig voneinander, eingeladen, sie in Buenos Aires zu besuchen, Claudio und Franco, beide habe ich nun kontaktiert. Claudio ist die ganze Woche unterwegs (Argentinien ist 7½ mal so groß wie Deutschland), aber Franco ist zu Hause, er kam sofort und hat mich abgeholt und zu seinem Haus gebracht. Ich wusste nicht, wo das ist, und als er es mir sagte hab ich gleich recherchiert. Oh Schreck, mitten in La Matanza. Auf die Schilderung meiner Warnungen reagierte er nur amüsiert. Ja, die Kriminalitätsrate ist hoch, deswegen fährt er auch so ein altes, kaputtes, schäbiges Auto, es zu reparieren lohnt sich vermutlich nicht (weil es sonst nur noch schneller gestohlen wird). Er brachte mich nicht zu seinem Haus, sondern zu seiner Werkstatt. Dort repariert er normalerweise Lastwagen. Vor kurzem hat er sich bei einem Unfall zu Hause einen kleinen Zeh gebrochen, ist immer noch gehandicapt und macht nicht viel. Ich habe dort mein Zelt in der Werkstatt aufgestellt, das Tor war über Nacht verschlossen und tagsüber habe ich alles wieder eingepackt. Jetzt bin ich mit wenig Geld und ohne Gepäck unterwegs, um La Matanza anzuschauen.

Das ist Franco mit einem seiner Enkel.

Bin wieder zurück in "meiner" Werkstatt. San Justo ist ein schäbiges, heruntergekommenes Viertel, so hab ichs mir vorgestellt. Im Zentrum ist es zwar besser, sauberer und renoviert oder neu, aber mein Eindruck von einer Stadt in einem 3.Welt Land bleibt. Dabei war Argentinien bis 1950 eines der reichsten Länder der Welt. Irgendwie gefährdet hab ich mich keinen Augenblick gefühlt. Aber ich weiß, dass ich meinen Gefühlen nicht trauen darf.

So 07.05. Palermo (Km 48.275)

Nun ist es doch passiert. Ich wurde letzten Sonntag überfallen und ausgeraubt. Aber ich erzähle erst mal der Reihe nach.
Ich ging am Mittwoch (26.04.) nach Palermo, das ist ein anderer Stadtteil gleich nordwestlich vom Zentrum (SanJusto liegt 20 km südwestlich), danach kommt der Rio de la Plata. Das ist hier eigentlicheine Meeresbucht, gegenüber liegt schon Uruguay. Ich habe mich in Palermo mit meiner Freundin Irene getroffen. Sie war dort zu Besuch bei uralt-Freunden von ihr, sie ist ja in Argentinien geboren alsTochter von vor den Nazis geflohenen Deutschen. Diese Freunde, Claudia und Jorge gaben mir ein Gäste-Appartement. Claudia hat ein Bio-Restaurant und Jorge ist Ingenieur und hat eine kleine Fabrik fürTürschlösser. Mit unkopierbaren Schlüsseln, wenn man die Tür zuschnappen lässt, wird automatisch der Riegel ausgelöst und die Tür ist ordentlich verschlossen. Und mit nur einer Schlüssel-Umdrehungkann man sie öffnen. Er hat da mehrere Patente darauf.
Blick aus meinem Fenster auf die calle guatemala. Da draussen herbstelt es schon, obwohl es nicht so kalt ist. Minimum zwischen 10 und 20°,Maximum 18 bis 28°. Buenos Aires liegt etwaaufgleicherHöhemit Santiago de Chile und Sydney oder Kapstadt in Südafrika. 
Am nächsten Tag war ich krank, das dauerte 3 Tage. Mit Symptomen wie Grippe oder Corona oder Dengue Fieber. Ich hab keine Ahnung, es passt auf alle drei. Wenn man im Internet stöbert,hörtsichallesganz schrecklich an, egal ob Dengue oder ein einfacher Bienenstich oder Corona, alles kann auch tödlich enden und man kann nichts dagegen machen, höchstens die Symptome lindern undsichvorBienen,Insekten und Viren schützen.
Am Montag ging ich dann zum Hafen um mit einer Fähre über den Rio de la Plata nach Uruguay zu fahren. Damit war ich schon 4 Tage überfällig, ich hätteArgentinieneigentlicham Donnerstagverlassenmüssen. Ich hab auf der Polizei gefragt, was ich machen kann, aber die haben abgewunken, alles halb so wild. Auf dem Weg zum Hafen wurde ichdannüberfallen.6oder7Männer,14bis 40Jahrealt,kamen aufmichzu. In dem Moment dachte ich noch nichts böses, sie umringten mich, ich verstand nicht was sie sagten, schließlich brüllten sie michan,schlugen michsogarmiteinem Stock,damit war klar, dassjedeGegenwehr zwecklos und zu gefährlich ist. Sie zogen den Geldbeutel aus meiner Hosentasche und das Telefon und fragten mich ständignachdolares. Siewolltenwissen,wo ich meine Dollars versteckthabe,aber ich hatte keine. Ich konnte nur zusehen, wie sie meinen Anhänger plünderten, alles was ihnen wertlos erschien, schmissensieaufdieStraße.Eswar12:00UhrMittagsundsonst sah ich keinenMenschen.Es schien als traute sich niemand auch nur in die Nähe dieser Bande. Obwohl ich keinen Augenblick an einen Erfolgglaubte,batich einen von ihnen,mir doch meine Bankkarte wiederzugeben.Bevor sieabzogen, kam der auf mich zu und reichte mir die Bankkarte. Ich stopfte den Rest in meinen Anhänger undgingweiter.ErstamnächstenTagfandich Gelegenheitzueiner Bestandsaufnahme. Sie habenetwa dieHälfte von meinem Hab und Gut gestohlen: fast alle Klamotten, sogar eine Obsttüte und dieZahnbürste,dieneuestenSchuhe, einen  meiner beiden Kocher, zum Glück den schlechteren undbilligeren und alles Werkzeug. Wenn ich den Wiederbeschaffungswert überschlage sind das mindestens1.000,-€. ImGeldbeutel war das Geld für die Fähre,36.000Pesos,das sind, wenn man das es vomAutomaten holen muss, etwa 150,-€. In den Wechselstuben bekommt man fast das doppelte für jeden Euro oderDollar,deswegen schleppen alle Touristenin Argentinien Unmengen von Dollars mit sich rum unddie Ganoven wissen das.

Ich ging dann zum Hafen um ein Ticket nach Uruguay zu kaufen. Auf die Polizei wollte ich verzichten, weil ich nicht glaubte, dass die mir helfen können. Zuerst fragte ich nach dem Preis: 33.000.Indiesem Terminal gibt es einen Geldautomaten, aber der spuckt nicht so viel aus und ich habe einen Deal mit meiner Bank, danach kann ich die Karte nur einmal täglich benutzen. Ich muss mir alsoeinenanderen cajero automático (span.) suchen. Und dann hab ich meine Bankkarte im Automaten vergessen. Ich habs innerhalb einer Minute gemerkt, aber zu spät, sie war schon eingezogen. Der securityMannsagte, ich muss die Bank anrufen. Ich fand heraus, wie die Bank heißt und wo sie ist. Auf dem Weg dorthin kam ich an einer Polizeistation vorbei, ich dachte, bei der Gelegenheit kann ich jamalfragen. Die hatten sogar einen Polizisten der englisch versteht, aber ich musste 3 Stunden warten. Das Aufnahmeprotokoll dauerte nochmal 3 Stunden, dann war es 23:00Uhr. Zwischendurch fragte ichmal,wo ich schlafen kann, er sagte, für solche Fälle haben sie eine Unterkunft und sie werden mich dorthin bringen. Ich musste draußen auf der Straße auf den Transporter warten. Ich wartete frierend3weitere Stunden, dann packte ich meinen Schlafsack und die Isomatte aus, die hatten sie mir zum Glück gelassen, und legte mich auf dem Gehweg in eine Nische vor einem Laden, gleich neben derPolizei. Einer der Polizisten steht auch da draußen, in voller Kampfmontur, sieht martialisch aus, und sie lösen sich stündlich ab.
Ich konnte ja erst am Dienstag zur Bank gehen, Montag war 1. Mai, auch hier ein Feiertag. Und die sagten, der Automaten Service hat einen festen Plan, zu dem im Hafenterminal kommen sie erst amFreitag, ich soll also am Freitag um 11:00 Uhr wiederkommen. Ich erzählte ihnen von dem Überfall und fragte, wie ich so lange überleben soll. Sie zuckten nur mit den Schultern, der Serviceplan lässtsich nicht ändern, auch nicht, wenn ein Tourist deswegen verhungert.
Ich beschloss, zurück zu gehen nach Palermo (8 bis 9 km) und Jorge zu fragen, ob er mir noch so lange Asyl gewährt. Klar, kein Problem, irgendwann nächste Woche hat er dasAppartementeinemanderenFreund versprochen. Irene war auch noch da, sie half mir mit etwas Geld aus, und Jorge schenkte mir sein altes i-phone. Hat fast die ganze Woche gebraucht, es zum Laufen zubringen, mitHilfeder Leute in einem kleinen telefonshop, die machten ein reset und installierten ein paar Apps. Seitdem schlage ich meine Zeit damit tot und versuche mit ihm zurechtzukommen. Es willmirabernursehrschwergelingen. Bis jetzt muss ich sagen: ein Scheiss System. Ich weiß schon, das liegt an mir. Dafür bin ich zu blöd. 
Zum Beispiel stiehlt dieses iphone die Abstände zwischen den Wörtern. Ich kann es zwar mühsam reparieren, doch im nächsten Moment fehlen sie dafür an anderer Stelle. Sehr ärgerlich!
Das müssen wir also vorläufig hinnehmen.
Ich war dann am Freitag pünktlich in der Bank, aber sie hatten die Karte nicht. Vermutlich haben sie nicht alles geschafft diese Woche, ich soll am Montag wiederkommen, zur selben Zeit. Vielleicht hoffen sie, dass ich derweil verhungere?
Wer mich schon länger kennt erinnert sich vielleicht an Stefan, den Archäologen aus Laos. Hallo Stefan, jetzt weißt du, warum ich nicht gekommen bin und auch nicht mehr erreichbar war. 
Er war zu der Zeit zufällig in Uruguay und sogar in Colonia del Sacramento, das liegt gleich gegenüber, dort fährt die Fähre hin. Er wollte eigentlich weiterreisen, hat aber extra auf mich gewartet und wir wollten uns am Hafen treffen. Ich weiß nicht, wie lange er gewartet hat und wie es ihm dabei gegangen ist. Natürlich sind jetzt alle Kontakte verloren, ich erinnere mich nicht mal an meine eigene Telefonnummer. Sorry Stefan, vielleicht haben wir ja nochmal eine Gelegenheit.
Ich veröffentliche hiermit meine neue WhatsApp Nummer, wenn ihr das in eurer Kontaktliste aktualisiert, findet mich euer Telefon auf WhatsApp wieder:
+54 1171 146 986
Und bitte nicht an facebook u. co weitergeben, das ist zu viel. Das hatte ich mal irgendwo in Asien, daraufhin bekam ich im Sekundetakt neue Nachrichten, die musste ich dann schleunigst entfernen, denn der Speicher reicht dafür nicht aus und wenn er voll ist, werden die alten chats gelöscht.
Tut mir leid, zu meiner Kontakt Nummer müssen wir noch eine 9 hinzufügen:
+54 9 117 114 6986 (ohne Abstände).