Blog 24 Indien 3 Westbengalen

Fr 07.12.18 Bagdogra (km 14.166)

Auf der Landkarte sieht Westbengalen lustig aus. Auf einem giraffenartigen Hals mit überdimensionalem Kropf sitzt ein Kopf wie bei Goofy, in dessen hinterem Teil bin ich gerade. Das ist der Distrikt Darjeeling. Die Sprache heißt, wen wunderts, Bengalisch (die Bengalen sagen Bengol). Bis 2011 hatten sie 30 Jahre lang eine kommunistische Regierung, jetzt ist eine andere Partei dran. Auch Kerala wird kommunistisch regiert. Das läuft in Indien völlig unaufgeregt. Östlicher Nachbar ist Bangladesh und mit dem gabs bis vor ein paar Jahren schwere Probleme, was zu einer Art eisernem Vorhang geführt hat. Zur Zeit herrscht Tauwetter. Westbengalen hat nur ein Viertel der Größe Deutschlands, aber 100 Millionen Menschen. 70% davon sind Hindus, der Rest überwiegend Muslime. Ich gehe nördlich von Bangladesh weiter nach Osten, der nächste Bundesstaat heißt dann Assam. Dort gibt es etwas mehr Muslime, deshalb haben hier in Westbengalen manche Leute Angst vor ihnen und warnen mich, ich soll dort besonders vorsichtig sein. Wenn ich sowas höre, sind mir die Menschen dort schon sympathisch bevor ich sie kennengelernt habe. Bisher war nämlich immer das genaue Gegenteil der Fall. In Deutschland die Türken, in Kroatien die Serben, im Süden des Iran die Sunniten, im Norden von Sri Lanka die Tamilen, in Kaschmir die Muslime. Die Menschen übertragen ihre politischen Differenzen und Meinungsverschiedenheiten nicht auf mich, im Gegenteil, sie betrachten mich als Verbündeten, bloß weil ich Fragen stelle und mich für ihre Probleme interessiere. Damit stehe ich sofort unter ihrem besonderen Schutz. 

Sa 08.12. Ambari Falakata (km 14.192)

Mo 10.12. Dhupguri (km 14.221)

Das habe ich hier zufällig in der Zeitung gefunden. Aus dem Artikel geht hervor, dass dieser verrückte Alte aus Deutschland kommt und alleine zu Fuß um die ganze Welt gehen will. 

Ich bin schon so weit weg von Zuhause, dass hier keiner mehr weiß, wo Deutschland überhaupt liegt. An der Stelle: bitte keine Überheblichkeiten. Wer weiß schon in Europa wo Jharkhand liegt oder Meghalaya? Und dass das indische Bundesstaaten sind, größer als manche europäische Länder?

Oft werde ich gefragt, welche Länder ich durchquert habe und wenn ich beginne diese aufzuzählen, können sie mir nicht folgen und unterbrechen mich auf halber Strecke mit der nächsten Frage. Oder wenn ich meinen weiteren Weg beschreiben soll, beschränke ich mich eh schon auf wenige Länder und Kontinente. Wenn sie das dann für die anderen Umstehenden übersetzen, bringen sie die Reihenfolge auf abenteuerliche Weise durcheinander. Daran erkenne ich, dass sie keine Ahnung von der Landkarte haben. Wenn ich will, dass sie mich verstehen, muss ich es ihnen auf meinem Smartphone zeigen. 

Di 11.12. Raichenga (km 14.247)

Die Kokosnüsse wachsen also das ganze Jahr über. 

Und auch die Papayas, ebenso wie Bananen und alle Gemüsesorten. 

Mi 12.12. Alipurduar (km 14.278)

Das sind Bienen am Eingang zu einer Gaststätte. Es herrscht reger Flugverkehr, so dass man den Raum nur ganz außen auf der Seite des Rolltores betreten kann. Seitdem die sich da niedergelassen haben, können (oder wollen) die Betreiber der Gaststätte das Tor nicht mehr schließen und müssen die Räumlichkeiten rund um die Uhr bewachen. Sie nehmen auch in Kauf dass mal jemand gestochen wird. Undenkbar in Europa. 

Assam

Fr 14.12. Srirampur (km 14.308 / H 40 m)

Wenn eines Tages alles Eis von den Polen und Grönland geschmolzen sein wird, dann geht hier auch das Land unter. Wisst ihr wieviel Einwohner allein Bangladesh hat? Doppelt so viel wie Deutschland. Plus noch mal so viele Inder werden ihre Heimat verlassen müssen. Und wisst ihr wo die dann alle hin wollen? Richtig, nach Deutschland. Und was tun wir? Ein paar Länder sagen: Klimaschutz und Energiewende sind Quatsch, wir machen da nicht mit. Und von Deutschland höre ich, es "möchtegern" Klimaschutz Weltmeister sein, tatsächlich steigen aber die CO2 Emissionen. Und warum? Zum einen, weil die dafür Zuständigen es nicht schaffen, die (Gott sei Dank) inzwischen manchmal überschüssige Energie von Wind und Sonne nutzbar zu machen und statt dessen den weiteren Ausbau der Erneuerbaren bremsen und lieber Braunkohle verheizen. Zum anderen, weil die Autos in Deutschland immer größer, fetter, schwerer und PS protziger werden. Volkswagen will die Produktion von Golf und Passat beenden, weil keiner mehr so kleine Autos kauft. Ich behaupte, die Auswahl und Entscheidung beim Autokauf ist überwiegend Männersache.Auf die Gefahr, mich bei einigen Kollegen unbeliebt zu machen, muss ich doch die Frage stellen: ja seid ihr denn alle bescheuert? Mit großen Versprechen sich im Wohlfühlimage zu baden und nachher das Gegenteil zu machen ist ja noch blöder als sich gleich zu verweigern. Ich plädiere für drastische CO2 Steuern auf Benzin und Diesel und es soll sich ja keiner trauen, eine gelbe Weste anzuziehen und dagegen zu protestieren. 

Das interessante an dieser "Süßstoff Vitrine" sind die Ameisen Protektoren unter den Füßen. Einfach mit Wasser gefüllte Schalen. Genial. 

Mo 17.12. Khagarpur (km 14.404)

Ich bin schon seit 3 Tagen in Assam. Das ist der erste der "7 Schwesterstaaten", die man durch den engen Korridor zwischen Nepal, Bangladesh und Bhutan, nach Westbengalen erreicht. Der Staat ist bekannt für den Tee, der auch hier gut gedeiht. Und zwischen den Teeplantagen duftet es wunderbar angenehm nach Tee. Hier habe ich eine Route abseits des Highways gefunden, kleine Straßen, wenig Verkehr, allerdings oft in schlechtem Zustand. Es gibt hier sehr viele verschiedene Sprachen und Bevölkerungsgruppen, nur die Hälfte der Bewohner spricht assamesisch. Hier bin ich im Bodoland, der Lebensraum einer indigenen Gruppe die auch ihre eigene Sprache hat, das Bodo. Man sieht es ihnen nicht an, die sehen aus wie die meisten hier in Nordindien und leben auch so, fühlen sich aber sozial benachteiligt. Einer erzählte mir, für sie ist es unmöglich, einen der begehrten government jobs zu bekommen, die einzige Möglichkeit einen Rentenanspruch zu erwerben. 2012 gab es hier verheerende Wald- und Steppenbrände, denen auch viele Teeplantagen zum Opfer gefallen sind. Die Leute erzählen ehrfürchtig von diesem Ereignis. Als ich ihnen erzählte, dass man mich in Westbengalen vor ihnen gewarnt hat weil sie gefährlich seien, hat es sie ziemlich amüsiert. Daraufhin erzählte ich, dass man dasselbe auch über die Kashmiri gesagt hat und da stimmten sie zu, sie denken das auch. Alles bullsheet, sagte ich. Die Menschen dort sind genau so freundlich und hilfsbereit wie hier. 

Hier hat mich wieder eine Bauern Familie eingeladen, Abendessen, schlafen, Frühstück, immer bis zum platzen. Die ganze große Familie und das halbe Dorf bevölkern den Hof um mich zu sehen. Ich bin hier eindeutig ein Alien. 

Do 20.12. Gelabil (km 14.471)

Hier gibt es viele lange Funklöcher, immer dann wenn ich es bräuchte, ist nichts.

Vorgestern hat es den ganzen Tag geregnet, zum ersten Mal seit Monaten, ich glaube seit Kaschmir. Ich machte viele Teepausen und habe mich schon zu Mittag in ein Hotel geflüchtet. Eigentlich hat es nur getröpfelt, aber stark genug zum Nasswerden. 

So sah neulich mein Frühstück aus. Das ist eine kartoffelartige Wurzel, schmeckt viel besser als alles was ich kenne. 

Und so sehen sie am Markt aus. Diese Wurzeln sind einen halben Meter lang. 

Fr 21.12. Adabari (km 14.505)

Mein heutiger Gastgeber, ein Hindu Priester. Er hat Familie, Frau und 3 Söhne und wohnt gleich hinter seinem Tempel. Ich zelte draußen auf der Terrasse. 

Mo 24.12. Guwahati (km 14.573)

Ich wünsche allen meinen Lesern fröhliche Weihnachten. Für mich ist es das erste Mal, dass ich diesem Pflichttermin entkomme. Und hier in Indien kommt bei mir keine weihnachtliche Stimmung auf. Tagsüber ist es sommerlich warm (an deutschen Verhältnissen gemessen), nachts wird es aber kühler. Nicht alle Inder sind Hindus, es gibt auch Muslime und Christen. Und die sind genauso strenggläubig wie die Hindus. Wollen mich ständig zu irgendwelchen Feierlichkeiten in ihre Kirchen schleppen und glauben dass die Religion auch für mich das wichtigste im Leben sei.

Oft schon haben mir Leute empfohlen, bei der nächsten Polizeistation zu übernachten. Heute habe ich das zum ersten und letzten Mal ausprobiert. Das ganze Zeremoniell hat mich 6 Stunden gekostet und die ganze Station war in dieser Zeit fast lahmgelegt, weil sich alle nur noch für mich interessiert haben. Entscheiden konnte das natürlich nur der oberste Chef und der hatte offenbar auch die Hosen voll, das schloss ich aus seinen Bemühungen, jeden Furz zu dokumentieren. Er musste jede Seite meines Passes von allen Seiten fotografieren, wollte Namen und Adressen meiner Gastgeber der letzten 7 Tage und weil ich das nicht liefern konnte und auch nicht wollte, reagierte er etwas gereizt. Er erfand Vorschriften, die es gar nicht gibt oder nicht mehr, wie z.B. ein Permit für Nagaland, das ist der nächste Bundesstaat im Osten. Zum Glück habe ich mich diesmal schon frühzeitig darüber informiert und erfahren, dass dieses im Januar für Touristen abgeschafft wurde. Zum Schluss noch die endlose Selfie Prozedur. Es gibt heute keine Fotos mehr, nur noch Selfies. Auch wenn sie selbst gar nicht auf dem Bild sind oder einer ein Gruppenfoto macht, ist es ein Selfie. Und jeder muss mit drauf. Wenn sie dann alles über mich wissen, dann lieben sie mich, auch der Chef. Im Zelt draußen zu schlafen geht nun überhaupt nicht mehr. Sie bringen mich mit einem Polizeiauto zu einem Hotel das ich mir nicht leisten würde. Warmes Wasser im Badezimmer erlebe ich hier zum zweiten Mal, seit ich in Indien bin. Und dass die Lage ungünstig für mich ist, will ich jetzt nicht auch noch diskutieren. Mein Weg morgen wird dadurch ein paar Kilometer länger. 

Ich bin übrigens seit zwei Tagen in Guwahati, das ist mit bescheidenen 1 Million Einwohner die größte und Hauptstadt von Assam. Ich bin hier zwei unabhängig von einander arbeitenden Journalisten Teams in die Hände gefallen, das hat mich einen ganzen Tag gekostet, dafür waren Essen und Unterkunft frei. Dann wollte ich noch etwas von der Stadt sehen (keine Tempel). 

Vorgestern früh habe ich den Brahmaputra überquert, der stellt nochmal alle Flüsse in den Schatten, die ich bisher gesehen habe. An manchen Stellen ist das ein Meer, man sieht kaum das andere Ufer. Auch der Ganges, bisheriger Rekordhalter, ist nur ein Nebenfluss des Brahmaputra und der ist hier noch nicht mal dabei, die beiden treffen sich erst weiter südlich von mir. Gut dass dieser Fluss älter ist als die Menschheit. Nicht auszudenken, wenn es umgekehrt wäre. 

Mi 26.12. Jagiroad (km 14.626)

Fr 28.12.Bahaka Bari (km14.676)

Meine Behauptung, dass die negativen nachbarschaftlichen Vorurteile zwischen den Völkern dieser Welt in aller Regel falsch sind, hat sich natürlich wieder bestätigt. Ich kann mich der vielen freundlichen Angebote kaum erwehren. Und immer diese Menschenmassen, die herbeieilen um mich aus nächster Nähe zu bestaunen, das nimmt mir fast die Luft zum Atmen. Am Anfang sind sie noch etwas zurückhaltend und vorsichtig, aber sobald sie ein paar wenige Informationen über mich haben, werden Vertrauen, Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft grenzenlos. Am wichtigsten ist die Information, dass ich Kinder habe. Und mein Name. Das ist mir unbegreiflich und macht mich manchmal fassungslos: sie wissen nicht wo Deutschland liegt, verwechseln es mit Japan (beides fängt mit Dsch... an), aber das ist völlig wurscht, die erste Frage ist die nach meinem Namen und die zweite nach meiner Familie. Das erinnert mich an das Sozialverhalten der Hunde. Die furchterregendsten Begegnungen mit ihnen hatte ich auf dem Balkan. Aber sobald ich ihnen die Gelegenheit gab mich zu beschnüffeln, waren wir Freunde. Ich weiß nicht, welche Informationen sie daraus gewonnen haben und wie sie die verwerten, genau so geht es mir mit den Menschen hier. Einer erklärte mir, dass die Menschen hier in diesen abgelegenen Dörfern noch nie einen Ausländer gesehen haben. 

Hier musste ich mal ein Selfie machen. Der Mann ist 100 Jahre alt (auch das gibt es hier) und die wichtigste Information über ihn ist die, dass er in irgendeinem Krieg gegen China mitgekämpft hat. 

Sa 29.12. Changmaji Pather (km 14.704)

Ich wollte gestern eigentlich erklären warum ich nicht so vorwärts komme wie ich es möchte, dass ich zu oft gegen meinen Willen aufgehalten werde. Gefühlt 1000 mal am Tag muss ich jemandem klar machen, dass ich ihn nicht verstehe, was manche von ihnen lange nicht begreifen können. Es ist dann egal ob ich in deutscher oder englischer Sprache antworte, sie hören nicht auf zu quatschen und Antworten zu fordern. Wenn ich dann einfach weitergehe, begleiten sie mich und reden weiter auf mich ein. Einmal habe ich mir die Ohren zugehalten um ihm klar zu machen, dass ich es nicht mehr hören kann. 

Hier hat mich ein Biobauer nicht eingeladen sondern eher gekidnapt. Und weil ich es ja doch interessant fand, konnte ich mich erst nach 5 Stunden wieder losreissen. 

Das ist ihre Biogasanlage. Die wird nur mit Gülle von den Kühen befüllt, die danach weiter als Dünger verwendet werden kann. Durch einen Gartenschlauch leiten sie das Gas in die Küche und kochen damit.

Dieser Hof wird von einer Familie betrieben, deren Vorfahren vor 3 Generationen aus Nepal eingewandert sind. Inzwischen ist das eine Dynastie. 

Sie haben auch eine Molkerei und eine Landmaschinen Mechaniker Werkstatt. Das Familien Oberhaupt ist eine Patriarchin die sich aufführt wie eine Königin. Sie schleift mich durchs Dorf, bestimmt wann ich wem die Hand schütteln muss, führt mich vor wie ihren Zirkusaffen, kommandiert den Schuldirektor herum wie einen Schuljungen, kennt jeden und keiner rebelliert. Die Führung auf dem Bauernhof machte ein angenehmer 42 jähriger pensionierter Airforce Soldat. Ja, die dürfen so früh in Rente gehen. Jetzt macht er sich zu Hause nützlich, ich schätze, er wird der nächste Patriarch. Bei ihm durfte ich mittagessen, auch das war sehr angenehm und gut, seine Familie ernährt sich auch vegetarisch.

Ich fragte ihn, was sie mit den alten Milchkühen machen und die Frage brachte ihn etwas in Verlegenheit. Ja, das ist ein großes Problem. Ich habe ihn so verstanden, dass sie die alten Kühe und Ochsen und Bullen an einen Händler verkaufen, letztendlich landen sie doch irgendwo im Kochtopf. 

Mo 31.12. Longlit Bazar (km 14.781)

Das nennen sie Apfelbeere. Die sind so groß wie Pflaumen und haben wie diese einen großen Kern, aber eher rundlich. Und sie ähneln in Konsistenz und Geschmack perfekt einem Apfel. 

Heute musste ich doch wieder zur Polizei. Die Leute sind mehr um meine Sicherheit besorgt als ich selbst und fragen mich, besonders abends, wo ich denn übernachten werde. Wenn ich dann wahrheitsgemäß sage dass ich was suche oder ihn frage, ob er was weiß, dann findet er etwas für mich. Und hier in nichttouristischen Gegenden macht er das völlig selbstlos. Dieser Freund heute schleppte mich wieder zur Polizei und die brachten mich wieder zu einem Hotel und diesmal war alles ganz anders. Kein langes Gespräch, keine Passkontrolle, keine Selfies und das Hotel lag fast gegenüber. Auch for free und hat nur 10 Minuten gedauert. Fazit: sage niemals Nie. 

Ich wünsche euch allen ein schönes und gesundes neues Jahr. 

Nagaland

Di 01.01.2019 Dimapur (km 14.823 H 150m)

Das ist hier einer der östlichsten Bundesstaaten, nur so groß wie Thüringen oder die Steiermark und hat nur knapp 2 Millionen Einwohner. 90% gehören zu den Naga, das ist ein Oberbegriff für verschiedene indigene Volksgruppen hier. Allein die Naga haben 14 oder 16 oder 30? verschiedene Sprachen (Internet und Aussagen der Ureinwohner widersprechen sich), die so unterschiedlich sind, dass sie sich untereinander nicht verstehen können. Als Verkehrssprache haben sie Naga oder nagamesisch (ist mit assamesisch verwandt) und englisch. Die Umgangssprache hier in Dimapur klingt sehr chinesisch und so sehen die meisten Menschen auch aus.

90% der Bevölkerung sind Christen, überwiegend Baptisten.

Und saukalt ist es hier, zumindest Nachts und auch hier gibt es als Wärmequelle höchstens offene Lagerfeuer, was auch nicht sehr effizient ist. 

Do 03.01. Kohima (km 14.901/H 1450)

Kohima ist die Hauptstadt von Nagaland, hat 100.000 Einwohner (Dimapur ebenfalls) und ist aufgrund der Höhe nochmal deutlich kälter. Die Straße von Dimapur hierher ist ja die Über-Haupt-Verkehrsader des Landes, aber in katastrophalem Zustand (für normale PKW nicht zu empfehlen. Überwiegend Baustelle und Naturpiste und wird Highway genannt. Bäche fließen über die Straße und nicht umgekehrt, was den Weg teilweise zur Schlammschlacht macht. In Nagaland war bis vor 50 Jahren noch Steinzeit und die Männer waren Kopfjäger. Sie sammelten Köpfe wie andere Briefmarken oder teure Autos. Wer keinen Kopf hatte, galt als unfähig zu heiraten, für jedes Kind musste ein neuer herbeigeschafft werden. Sie fragten das Opfer nach seinem Namen, bevor sie ihm den Kopf abschnitten, den gaben sie dann dem Neugeborenen. Irgendwelche dubiosen Energien aus dem Kopf waren überlebenswichtig für das Baby. Pech, wenn man damals zur falschen Zeit am falschen Ort war. Die letzten Kopfjäger sind so alt wie ich. Wenn mich hier jemand nach meinem Namen fragt, läuft es mir eiskalt den Rücken hinunter. Kein Wunder, dass sich damals kaum jemand in diese Gegend gewagt hat. Mutige Missionare haben dem Treiben langsam ein Ende bereitet, verboten wurde es erst nach dem Beitritt (oder Annexion?) zu Indien 1947, natürlich war es damit nicht sofort vorbei. So ungewöhnlich ist diese Tradition nicht, auch mitten in Europa, in Montenegro zum Beispiel, gab es das, auch ähnlich lange. 

Der Baum sieht ganz anders aus, aber die Früchte sind eindeutig Feigen. Das Aussehen außen, innen, der Geschmack, alles identisch. Und sie sind jetzt reif. 

Fr 04.01. Kohima (km 14.921)

Ich habe beschlossen, die nächste Etappe nach Süden, nach Imphal mit dem Bus zu fahren. Der Weg von Dimapur nach Kohima hat mir gereicht. Zu dreckig, zu staubig, zu schlammig, und ich denke, er wird nicht mehr besser. Außerdem steigt er noch bis 2000 m, bevor es wieder runter geht nach Imphal (zu kalt im Winter). Diese Stadt ist aber gestern und heute gesperrt, da darf kein Bus hinfahren. Warum habe ich nicht verstanden. Erst am Samstag früh fährt wieder einer. Also blieb ich noch einen Tag, ich konnte eine Pause ganz gut brauchen. Hab mir die Stadt angeschaut, sieht fast überall aus wie ein Dorf. Sie liegt auf einem Berg, und hier nochmal auf mehreren Hügeln. Auf einem davon steht ein Aussichtsturm, ich bin hingegangen, er ist aber natürlich nicht betretbar, wegen Baufälligkeit. Ich habe es erwartet und es hätte mich nach meinen bisherigen Erfahrungen mit Indien auch gewundert wenns anders gewesen wäre. 

Dann halt eben ein Foto von unten. Und so sieht es eigentlich ringsum aus. 

Zu Dimapur muss ich noch einen Eindruck schildern. Es gibt dort nur eine einzige Teerstraße, das ist der Highway und der ist im gleichen miserablen Zustand wie danach, nach Kohima. Alle anderen Straßen sind unbefestigt, keine Gehwege und wenn, dann sind sie nicht benutzbar und die Kraftfahrzeuge wirbeln so viel Staub auf, dass man schon allein deswegen nicht auf ein langes Leben hoffen kann. So stelle ich mir die Städte im Mittelalter vor, den Unterschied machen nur die KFZ und die Handys. In Kohima sind die Straßen etwas besser. 

Manipur

Sa 05.01. Imphal (km 14.926)

Ein "duty officer" hatte mir gesagt, Bus Abfahrt sei um 07:30 Uhr, ich sollte aber eine Stunde früher kommen und mein Ticket kaufen. Ich hielt das für übertrieben, war aber trotzdem um 06:30 da, stellte mich in einer Schlange von 15 Leuten hinten an und es ging zäh vorwärts. Nach 10 Minuten waren immer noch etwa die Hälfte vor mir, ein paar weitere sind noch hinter mir dazu gekommen, da klappte der Mensch hinter dem Schalter plötzlich ohne erkennbare Erklärung einen Laden herunter und der Schalter war geschlossen. Der nächste vor mir erklärte mir auf meine verdutzte Frage was das bedeutet: ausverkauft. Schluß für heute. Erst morgen früh gibt es wieder Tickets. Ich ging wieder in das Büro zu dem duty Menschen und fragte ihn, wie ich nun nach Imphal komme. Der sagte dasselbe und widmete sich ungerührt weiter seiner Buchhaltung auf weitere Fragen reagierte er nicht mehr. Ich setzte mich auf einen Stuhl im Büro und überlegte, ob ich warten soll, bis er wieder mit mir redet, oder mich doch zu Fuß auf den Weg machen sollte. Da kam ein zweiter Mann und setzte sich hinter den anderen Schreibtisch. Ich stellte ihm dieselbe Frage und der sagte, ich solle ein paar Minuten draußen warten. Tatsächlich kam er nach 5 Minuten zu mir, gab mir ein Ticket, sogar mit günstiger Platznummer für 220 Rupies. Immerhin sind das 142 km. Günstig ist ein Platz in der Mitte. Über den Achsen wird man brutal durchgeschüttelt, die letzte Sitzreihe ist pure Folter. Dort hebt man bei jedem Schlagloch vom Sitz ab. Während des freien Falls kommt einem der Sitz aber schon wieder entgegen, was die Wucht des Aufpralls auf die nur schlecht gepolsterte Sitzbank vervielfacht. Da wird jedes Schlagloch ein schmerzhaftes Abenteuer und sie kommen im Sekundentakt. Die Inder nehmen das sportlich und lachen darüber. Manche können dabei sogar schlafen. Ich verstehe vieles nicht, was ich sehe und erlebe. 

Der Bus hat nur einen relativ kleinen Kofferraum, deshalb müssen alle größeren Gepäckstücke aufs Dach und das machen die mit unglaublicher Geschicklichkeit, auch mein Trolley muss rauf. Da habe ich aber mitgeholfen. 

Der Weg nach Imphal war zwar nicht ganz so hoch (nur bis 1750m), aber so schlecht wie ich befürchtet hatte. Das schlimmste daran ist, wenn man zu Fuß unterwegs ist, der Staub, neben einem hohen Verkehrsunfallrisiko. Die Fahrer müssen sich mehr auf die Straße konzentrieren und übersehen mich öfter als auf guten Straßen. Das muss ich mit erhöhter Aufmerksamkeit kompensieren. Aber auch der Staub tötet. Er schädigt die Lunge irreparabel, so wie die Hupen mein Gehör irreparabel schädigen. Und das UV Licht meine Augen. Die gesundheitlichen Risiken sind höher als ich es erwartet habe, trotzdem gebe ich nicht auf. Es ist einfach zu schön. Es ist das reale Paradies. 

Mi 09.01. Moreh (km 15.010/H 160)

Das ist Binay Kumar Shahu (alias Kinga Bhai), ein vielgereister Cyclist aus Imphal. Bei ihm und seiner Familie war ich einen Tag und 2 Nächte. Er hat mir ein Facebook Konto eingerichtet, das soll meine Reisekosten vermindern, weil ich so weltweit viele "Freunde" finde, die mich einladen und mir Unterkunft geben. Heute habe ich schon 500 neue Freunde, ein paar von ihnen habe ich kennengelernt. Tatsächlich reichen sie mich von einem Dorf zum Nächsten weiter. Das hat aber auch Nachteile, es kostet zu viel Zeit. Mir ist es nicht egal, ob meine Weltreise 4 oder 12 Jahre dauert. 

Er hat mich auf dem Weg nach Moreh begleitet, zu Fuß. Anfangs habe ich mich dagegen gesträubt, habe versucht ihm klar zu machen dass das nicht geht ohne ausreichendes Training, aber da war nichts zu machen. Er wird es mit willpower ausgleichen. Und weil ich ihm darin sehr viel zutraue, macht es mir erst recht Angst. Dadurch wird es nur noch schlimmer. 25 km haben wir am ersten Tag geschafft. Er hatte aber schon ein Domizil in 35 km bei einem seiner Freunde gebucht, so ließ er sich überzeugen, die letzten km by hitchhiking zurück zu legen. Hier bei einer sehr netten Familie gab es alles, was das Herz begehrt und mehr. Üppiges Abendessen, danach ein Fußbad in einer Schüssel mit heißem Wasser, wobei die Mutter des Freundes (vermutlich das wahre Familienoberhaupt) mir die Füße gewaschen hat. Inclusive Massage mit kräftigen Händen. Eine irre angenehme und völlig neue Erfahrung für mich. 

Am nächsten Tag waren Binays Schmerzen noch schlimmer, auch seine beachtliche willpower hat nicht ausgereicht das auszugleichen. Wenn wir irgendwo eine Pause machen, kommen sofort Leute herbei und bringen uns eine Sitzbank oder Stühle. Auch das ist Indien. Morgen werde ich es verlassen und mir ist dabei etwas wehmütig ums Herz. Mit Sri Lanka und Nepal (sind fast identisch mit Indien) habe ich nun über 11 Monate hier verbracht, das sind fast zwei Drittel meiner gesamten bisherigen Reise. Von Deutschland bis einschließlich Iran waren es nur 7 Monate. Daran kann man in etwa die Größenverhältnisse abschätzen. 

Binay ist wirklich ein harter Hund (das ist in Germany ein hochwertiges Kompliment. Ich muss das erklären, weil jetzt auch viele Inder meinen Blog lesen und solche Scherze sicherlich nicht verstehen können). Trotz seiner Beschwerden haben wir die Strecke überwiegend zu Fuß zurückgelegt.

Ach so, ich wollte ja noch das T-Shirt auf dem letzten Bild erklären. Binay unterstützt auf diese Weise eine Umweltschutz Organisation, die Bäume pflanzt und auch alle Mitmenschen dazu aufruft. Das kann auch ich voll und ganz unterstützen. Ich darf jetzt nicht mehr sagen, ich mache diese Reise just for fun, sondern "to save environment" (um die Umwelt zu retten). Und ich stelle fest, das Umweltbewusstsein ist hier viel höher als ich bisher dachte. Zumindest bei vielen Indern. 

Je näher wir der Grenze kommen, desto mehr army check points gibt es und überall muss ich meinen Ausweis vorzeigen, der wird fotografiert und alles in ein dickes Buch eingetragen. Indien und Myanmar stehen sich hier bis an die Zähne bewaffnet gegenüber, als befürchten sie jeden Tag einen Überfall der anderen Seite. Besonders für Indien wirkt das mehr als lächerlich, direkt obszön. Millionen von Indern sterben weil sie zu wenig Nahrung und medizinische Hilfe bekommen, die Schulbildung ist armselig und hier wird das Geld für primitives Imponiergehabe zum Fenster hinaus geworfen. Und das alles dient nur dem Machterhalt einer Verbrecherbande, die sich schamlos bereichert. Jetzt, wo ich das Land verlasse, traue ich mich, die Wahrheit zu schreiben. 

Und trotzdem ist das Land paradiesisch schön und die Menschen liebenswert. Auch die Soldaten. An einem dieser check points haben sie mir unter Hinweis auf mein T-Shirt 500 Rupies gegeben. Das ist eine Menge Geld, dafür muß ein normaler Inder 2 Tage lang arbeiten und zwar länger und härter als wir uns das vorstellen können. 


Unser nächster Halt war in Tengnoupal, auf 1400 m Höhe, deutlich kühler, aber eine wunderschöne Mittelgebirgslandschaft. Der erste Mensch der uns fragt wohin wir gehen und ich antworte, wir suchen jetzt einen Platz zum Schlafen, sagt, ihr könnt bei mir übernachten. In meinem Haus ist Platz genug. Sie bringen einen Teppich, Berge von Decken, Kopfkissen, Trinkwasser und Abendessen. Ich kann aber nichts essen, ich habe wieder Durchfall und fühle mich nicht gesund. Mindestens 20 mal musste ich nein sagen, bis es akzeptiert wurde. Alle glauben wie ich auch, sie wüssten alles besser. Sie wissen sogar besser als ich, ob ich Essen will oder brauche. Das nervt schon manchmal. Aber sie meinen es ja nur gut. 

In Moreh mussten wir als erstes die Industrie und Handelskammer der Tamilen besuchen. Die stammen aus einem Dorf von Auswanderern in Myanmar und mussten das Land nach der Unabhängigkeit 1947 verlassen. Unabhängigkeit ist also nicht immer ein Vorteil für die Menschen. Sie wollten nicht zu weit weg, weil sie auf eine Rückkehr hofften (daraus wurde aber nichts) und haben sich in Moreh niedergelassen. Hier haben sie ein eigenes Stadtviertel und sind auf 20.000 Menschen angewachsen. Ich musste auf einem Tron-artigen Stuhl Platz nehmen, rechts von mir der Präsident und beiderseits noch ein paar andere Würdenträger. Mein Sessel ist der höchste, nach außen werden sie immer niedriger, was die Hierarchie der Besitzer unterstreichen und die Überzeugungskraft ihrer Argumente verstärken soll. Auch hier sind solche fiesen Tricks bekannt und gebräuchlich. Sie hielten salbungsvolle Reden, sprachen mich mit Sri Kuno Penner an und haben den Namen schon nach einer Minute wieder vergessen. Mir geht es mit all ihren Namen genauso, ich habe schon beginnende Demenz befürchtet, aber wenn ich sehe, dass sie umgekehrt das selbe Problem haben, beruhigt es mich. Ich halte diesen Verein für eine Art Mafia, sollte ich mich irren, bitte ich um Entschuldigung und ziehe den Vorwurf zurück. 

Inzwischen habe ich fast 500 "Freunde" hier, ist mir schleierhaft, wie ich diesen Wahnsinn managen soll. Ich muss den Wohnort bei den Kontakten dazuschreiben, dann kann ich sie mir ein bisschen länger merken. Und wenn ich sie vergessen habe, dann antworte ich auch nicht mehr. Das kann keiner verstehen. Aber wenn ich mit allen, von denen ich keine Ahnung mehr habe wer sie sind, kommunizieren müsste, bräuchte ich allein dafür 24 Stunden pro Tag. Und diese Kommunikation ist für mich äußerst unbefriedigend. Es kommen nur Anfragen in sehr knapper Form: good morning Sir. How r u. Wer r u. Send pictures. Where u had dinner. Und diese blöden Fragen kommen

jede als eigene message. Keiner ist in der Lage, auch nur 2 Fragen in einer Nachricht zusammenzufassen. Schon gar nicht, mir auch mal eine Information zukommen zu lassen. Dabei sind hochgebildete Menschen darunter. Ich fühle mich dabei ausgenutzt und mißbraucht. Die einzige Ausnahme ist Sanju aus Maharashtra. Er schickt mir wenigstens Bilder, wenn er wieder irgendwo einen Tanz- oder Jogawettbewerb gewonnenen hat, und die sind so beeindruckend, die muss ich Euch mal zeigen:

In Imphal war meine indische Sim Karte leer, deshalb die lange Funkstille. Binay hat nicht nur Kontakte in Indien, sondern in der ganzen Welt. So hat er Alex, einen Freund aus Tamu, das ist der nächste Ort hinter der Grenze, aktiviert mir eine Sim Karte zu besorgen und nach Moreh zu bringen. Inder und Burmesen brauchen für den grenznahen Bereich kein Visum, Ausweis genügt. 

Für Myanmar schlage ich eine neue Seite auf.

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